
Die größten Fortschritte werden in der Medizin durch die fortschreitende Digitalisierung erwartet. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Radiologie oder Pathologie sind dabei viel genannte Beispiele, doch es ist völlig unklar, wie diese Lösungen kommerzialisiert werden sollen.
Die Hoffnungen in der Medizin sind groß, mit der maschinellen Bildinterpretation eine verbesserte medizinische Versorgung sicherzustellen. Da können Systeme die Bilder mit Hilfe von künstlichen neuronalen Netzen analysieren mehr Erkrankungen auf einem Bild finden, bessere Hautkrebsdiagnosen stellen, finden Krebsfrühstadien früher und zuverlässiger. In der Regel sind dies Ergebnisse von klinischen Studien, aber gerade im Wissenschaftsjahr 2019 zum Thema „Künstliche Intelligenz“ finden sich die entsprechenden Schlagzeilen immer wieder auch Zeitungen, im Rundfunk- oder sogar Fernsehberichten. Das ist gut, denn während Künstliche Intelligenz bei dem größten Teil der Bevölkerung noch mit Ängsten vor die Macht übernehmenden Robotermaschinen verbunden wird, helfen die Berichte aus der Medizin dabei, die eigentlichen Chancen, die sich aus der derzeit machbaren „Künstlichen Intelligenz“ ergeben, zu erkennen.
Was in diesen Studien als möglicherweise Machbares aufgezeigt wird, ist dabei aber noch weit entfernt von der medizinischen Alltagstätigkeit. Die Software aus diesen Studien ist oft weit entfernt von einem Produkt. Es stehen in der Regel von Monate oder sogar Jahre im Raum in denen das eigentliche Produkt entwickelt und als Medizinprodukt zugelassen werden kann. Große Investitionen, die im deutschen Start-Up Markt anfangs durch Venture Capital sogar ganz gut zu finanzieren sind.
Wer soll das bezahlen?
Geht es um den Einsatz in der späteren Regelversorgung sieht es dann allerdings ganz anders aus. Wirft man einen Blick in die Businesspläne der vielen Start-Ups sieht die Welt noch rosig aus. Untersuchungen wie eine Röntgenthoraxaufnahme finden hunderttausendfach im Jahr statt. 1,-, 2,-, 5,- Euro das ist doch kleines Geld und ein Millionenerlös im Bezug auf die Gesamtgröße des Marktes ist auf dem Papier schnell errechnet. Aber wer bezahlt dort etwas? Für eine Röntgenthorax-Untersuchung erstatten die Krankenkassen im Schnitt etwas über 9,- Euro. in dieser Pauschale sind die Kosten für das Röntgensystem, die Mitarbeiter, die Sichtung und Befundschreibung usw. abgebildet. Wird hier nun ein System zur automatisierten Befundunterstützung eingesetzt, muss dieses von den Radiologinnen und Radiologen zusätzlich bezahlt werden. Sie geben also Geld von ihren Erlösen ab, ohne mehr Geld zu bekommen. Dieses Konzept hat in der Vergangenheit entweder gar nicht funktioniert oder zu einer enormen Langsamkeit bei der Einführung von Innovationen in der Medizin geführt.
oder der Wille bestmögliche Versorgung zu biten Welcher Nutzen ist denkbar, der Ärzte investieren lässt? Mit KI-basierten Systemen könnte Zeit in der Befundschreibung und damit am Ende bei den Personalkosten eingespart werden. Es könnte ein Mehrwert sein, im Wettbewerb um die besten Köpfe familienkompatible Arbeitszeiten anbieten zu können, wenn die maschinelle Bildinterpretation zu solchen Entlastungen führen kann, dass die oft üblichen Überstunden am Abend entfallen können. Und natürlich kann schlicht auch Neugier auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im eigenen Tätigkeitsfeld oder der Wille den eigenen Patientinnen und Patienten bestmögliche Versorgung zu bieten zu so einer Investition führen.
In der Masse wird diese Investitionsbereitschaft aber genau dann enden, wenn die Leistungserbringer solche Systeme auch für andere Röntgenaufnahmen, für CT, MRT oder das digitale Mikroskop in der Pathologie nutzen möchte und jeweils spezialisierte Klassifier für die Interpretation von verschiedenen Fragestellungen anschaffen muss. Dann summieren sich die Kosten schnell zu tausenden Euros im Monat, und der mögliche Mehrwert für eine bessere Behandlung der Patientinnen und Patienten scheitert an der Finanzierung. Während die Gesamtgesellschaft, der Gesundheitsmarkt und die Krankenkassen von diesen Lösungen profitieren, würden dafür nach dem derzeitigen Modellen vor allem die niedergelassenen Fachärzte und die medizischen Einrichtungen bezahlen.
Ein möglicher Ausweg: Das Digitale Versorgung Gesetz (DVG)
Soll sich Künstliche Intelligenz in der Medizin durchsetzen, muss ein anderes Finanzierungsmodell gefunden werden. Niemand würde erwarten, dass eine Mediziner für jedes Medikament bezahlt, dass er seinem Patienen gibt oder dass er teure, aber deutlich bessere Medizintechnik einkauft ohne hierfür neue oder dautlich angehobene Vergütung zu erhalten. Sicher ist, dass der Pharmamarkt mit milliardenschweren Konzerngewinnen nicht das schillernste Beispiel sein kann, immerhin konnten sich so auch Hersteller mit Präparaten aus nichts enthaltenden Zuckerkügelchen Millionenumsätze finanzieren. Für den Einsatz von Software, die aufgrund von Künstlicher Intelligenz zu einer Verbesserung der Versorgung, gesünderem Outcome und damit weniger Kosten führt, sollte zumindest die Grundlage der Finanzierung nicht vollkommen auf den Kopf gestellt werden.
Wie immer sind wir in Deutschland auch bei der Forschung zu KI in der Medizin im internationalen Vergleich vorne dabei. Damit sich dieser Erfolg auch für die Versorgung der Patientinnen und Patienten auszahlt, muss sich daran auch ein Einsatz in der Alltagsmedizin anschließen. Das gerade mit einem Referentenentwurf vorgestellte Digitale Versorgungs Gesetz (DVG) bietet dafür erstmals einen Rahmen in dem eine Erstattungspflicht zunächst offensichtlich mit dem Fokus auf Gesundheitsapps für Patienten geschaffen wird. Dort heißt es:
„§ 33a
Digitale Gesundheitsanwendungen
(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Medizinprodukten niedriger Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht und die dazu bestimmt sind, bei den Versicherten oder in der Versorgung durch Leistungs-erbringer die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen (digitale Gesundheitsanwendungen).„
Es scheint daher möglich zu werden, dass auch Anwendungen, die nicht als App beim Patienten zum Einsatz kommen, aber derenVersorgung verbessern, wie es die KI-basierten Anwendungen in der Medizin versprechen, durch eine Finanzierung der Aufwände der Leistungserbringer durch die Krankenkassen kommerzialisierbar werden. Anwendungen müssen dazu ein Medizinprodukt der Klasse I oder IIa sein, ihren Nutzen nachweisen und in ein Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aufgenommen worden sein.
Richtig eingesetzt könnte das neue DVG durchaus den Durchbruch der algorithmen-unterstützten Medizin ermöglichen.