In Nürnberg demonstriert die bundesweit als Lobbygruppe für Schulöffnungen während der Pandemie aktive Initiative Familien mit einer Mahnwache. Die Initiatoren forderte gemeinsam mit 50 Eltern und Kindern die Schulen in der Stadt kurzfristig und unabhängig von der Inzidenz wieder zu öffnen.
Hier findet sich en Bericht über die Veranstaltung. https://www.nordbayern.de/region/nuernberg/mahnwache-in-nurnberg-eltern-und-kinder-fur-schuloffnungen-1.10927973
Hier der Aufruf: https://gebnuernberg.de/downloads/pressemitteilung_initiative_familien_20210316.pdf
Dort wird auf Studien verwiesen, die zeigen dass Kinder nicht Treiber der Pandemie seien. Diese Studien sind veraltet. Sie bilden weder die Erkenntnisse, die aus den ersten Testrunden in Bayern jetzt am Beginn der 3. Welle zu beobachten waren ab, noch die aktuell geänderte Lage durch die Virusvarianten B1.1.7 oder P1.
Ich habe mit die zitierte Virenwächter Studie einmal angesehen. Die Münchner LMU hat dazu im Rahmen einer Sentinel-Studie an 10 Kitas und Schulen wöchentlich pro Einrichtung nach dem Zufallsprinzip 20 Kinder und fünf Lehrer*innen bzw. Erzieher*innen mittels PCR-Diagnostik auf das SARS-CoV-2-Virus getestet. In einer ersten 5-wöchigen Testphase vor den Sommerferien konnte dabei keine Infektion mit SARS-CoV-2 festgestellt werden. In der zweiten Testphase mit den 7 Wochen vor den Herbstferien, konnten 2 Infektionen gefunden werden. Das hört sich sehr sicher an und die Autoren schreiben dazu in dieser Stellungnahme: „Da es bei wöchentlicher Stichproben-Testung nur zwei positiv getestete Fälle in der letzten Studienwoche mit hoher Inzidenz in München gab, können wir für den Studienzeitraum ableiten, dass ‚gesunde‘ bzw. asymptomatische Kinder, die in entsprechende Einrichtungen gehen, nicht signifikant zur Verbreitung des neuartigen Coronavirus beitragen, sondern allenfalls die epidemiologische Situation der Gesamtbevölkerung widerspiegeln.“, erklärt Studienleiter Ulrich von Both. „Diese Erkenntnisse gelten allerdings nur bis zu der im Studienzeitraum maximal in München erreichten 7-Tages-Inzidenzrate von 150/100.000. Weitere Untersuchungen halten wir jedoch für sinnvoll, insbesondere vor dem Hintergrund neuer Virusvarianten“, ergänzt Martin Hoch. Im Text der Studie wird allerdings die maximale Inzidenz in der untersuchten Altersgruppe der Kinder mit nur 50 angegeben.
Alles gut und sicher? In München gibt es ca. 66650 Kinder im Altern von 0-4, 56250 Kinder im Alter von 5-9 und 53.350 Kinder im Alter von 10-14. Da die Virenwächterstudie nur Kinder von 0-11 berücksichtigt, sagen wir überschlagsmäßig es gibt 21.350 Kinder im Alter von 10 und 11. Insgesamt versuchte die Studie also Corona-Fälle bei etwa 144.000 Kindern zu finden.
In einer Woche untersuchten die Wissenschaftler von diesen 144.000 Kindern jeweils zufällig 200. Schauen wir jetzt auf die zur Zeit der Studie in München überhaupt gefunden COVID19-Fälle:

In der Tabelle sind die Wochen, in denen Kinder untersucht wurden, lila markiert. In der Spitze wurden bei den 144.000 Kindern in der ersten Phase in einer Woche 27 Fälle gefunden (KW28). Ich nehme der Einfachheit halber an, dass bei den 10-14 Jährigen alle Fälle unter 10 und 11 Jährigen aufgetreten sind. Die Wahrscheinlichkeit dass ich mit einer Stichprobe von 200 in dieser Lage einen Fall finde ist extrem gering, es ist also absolut erwartbar bei dieser Inzidenzlage keinen Fall zu finden.
In der Zweiten Phase der Studie wurden in KW43 max. 120 Fälle unter den Kindern insgesamt in der Stadt gefunden. Auch hier untersuchte man von den 144.000 Kindern 200 und fand nun 2 Infizierte. Wenn ich also 200 Mal in einen Lostopf greife mit 144.000 Losen und nur 120 Gewinnen, dann liegt die Wahrscheinlichkeit dass ich jetzt 1 Gewinn „finde“ bei 15%. Auch hier gilt: Glück gehabt. Berücksichtig man eine Dunkelziffer von etwa 4 zu diesem Zeitpunkt erhöht sich die Wahrscheinlichkeit. Insgesamt ist hier das Ergebnis aufgrund der niedrigen Gesamtfallzahl in der Altersgruppe also weiterhin erwartbar. Mathematisch hätte es auch in dieser auch 0 oder 14 Fälle sein können, die gefunden werden, letzteres natürlich mit einer sehr großen Unwahrscheinlichkeit, aber es wäre eben aus mathematischer Sicht möglich gewesen.
Es ist bei einem solchen Studiendesign also vollkommen erwartbar, dass man eigentlich immer keine Fälle findet. Bei einer so großen Grundmenge und einer so kleinen Stichprobe sind aber seriöse Aussagen über einen sicheren Schulbetrieb nicht zulässig. Nachgewiesen wurde im Grunde nur, dass es keine gewaltige (also 10- bis 20-fache oder noch größere) Dunkelziffer bei Kindern gab.
Wie ich oben zeige, war eine 4- bis 6-fache Dunkelziffer bei Kindern in München möglich, ohne dass über die kleinen 200er Stichproben aus den 144.000 Kindern mehr Fälle gefunden werden müssten. Das die Dunkelziffer in diesem Bereich liegt, hatten Forscher des Helmholtz Zentrum ins München längst mit einer viel geeigneteren Untersuchungsmethode gezeigt, indem sie 12.000 Blutproben von Kindern auf Antikörper untersucht haben und damit zeigen konnten, dass die für den Untersuchungszeitraum vom bayerischen LGL gemeldeten Fallzahlen zu niedrig waren: die tatsächlichen Infektionszahlen lagen 6-mal höher.
Fazit
Mit veralteten Studien aus einer Zeit mit nur geringen Inzidenzen bei Kindern die Forderung abzuleiten, Schulen könnten unabhängig von der Inzidenz geöffnet werden, ist falsch. Schulen sollten immer dann wieder geöffnet werden, wenn für die Kinder keine akute Gefahr mehr für eine Infektion mit dem Coronavirus besteht.
Das ist immer dann auch in voller Klassenstärke mit Masken der Fall, wenn die Inzidenz unter 10 liegt und mit Abstand und Masken bis zu einer Inzidenz von 35. Oberhalb dieser Werte zeigte sich immer eine Fallzunahme, die bei weiterhin geöffneten Schulen schnell zu Inzidenzen von 200 bis 500 in den Altersgruppen der Schulkinder führen konnte.
Mit der Virusvariante B1.1.7 als dominanter Virusform in einem Gebiet war dabei mit dem Beginn der 3. Welle zu beobachten, dass Infektionslinien dann auch in den Altersgruppen der Schulkinder beginnen konnten und über die Familien rasend schnell in weitere, noch nicht durch eine Impfung geschützte Altersgruppen streuten. Daraus ergeben sich nun zusätzliche Anforderungen an eine sichere Beschulung in Präsenz, die das zur Zeit geplante Maßnahmenbündel (Abstand 1,5 Meter, Masken, freiwilliger Test) für die Zeit nach Ostern grundsätzlich in Frage stellt.